Geflügelpest: Wildvögel sind kein Ausbreitungsvektor der Seuche

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Ursachenforschung zur Ausbreitung der Geflügelpest in Deutschland ist in eine Sackgasse geraten. Als möglicher Vektor werden derzeit Zug- und sonstige Wildvögel in den Vordergrund gestellt. Für diesen Übertragungsweg gibt es bislang aber weltweit keinerlei Belege, von der örtlichen Ausbreitung (über einige Kilometer) abgesehen. Hauptübertragungsweg der letzten Monate dürfte neben dem Handel mit Geflügel global die Verwendung von Geflügelkot als Dünger in Fischereibetrieben und ggf. auch in der Landwirtschaft sein. Eine weitere Rolle mögen Schlachthausabfälle und sonstige Abfallprodukte der Massengeflügelhaltung spielen. Es ist offenkundig, dass in Deutschland in Unkenntnis dessen derzeit zum Teil verkehrte Maßnahmen ergriffen werden.
Dieses möchte ich nachfolgend erläutern:
Ich bin vor einer Woche aus Ostasien zurückgekehrt, wo ich mich bei den dortigen Ornithologen intensiv über das Auftreten der Geflügelpest informieren konnte (zusammenfassend z.B. Quellen1+2, ausführliche Details in Quelle3). Es wurden die einzelnen Fälle des Auftretens in den letzten Monaten und Jahren analysiert, mit dem Ergebnis, dass Wildvögel als Vektor über größere Entfernungen äußerst unwahrscheinlich sind. Die Zugwege oder Flugrouten von Wildvögeln korrelieren nicht mit den Ausbreitungswegen der Seuche. Weder innerhalb Asiens, noch von Asien nach Europa gibt es Zugrouten zwischen den betroffenen Gebieten. Lediglich ein einziger Fall des möglichen Transportes des Virus durch Wildvögel von China in die Süd-Mongolei (einige 100 km) wird von den asiatischen Ornithologen erwähnt. Dort blieb der Ausbruch örtlich beschränkt, und der Erreger verschwand innerhalb von Wochen – ganz im Einklang mit sonstigem „normalen“ Krankheitsgeschehen in frei lebenden Tierpopulationen mit natürlicher Selektion. Es gab keine Übertragung auf Hausgeflügel.
Wildvögel sind nicht die Vektoren, sondern hingegen die Opfer menschlichen Handelns, wie die zum Teil spektakulären Ausbrüche belegen (z.B. der Tod von Tausenden Streifengänsen innerhalb kurzer Zeit in Qinghai / China im Mai 2005). Es ist zudem nicht wahrscheinlich, dass ein infizierter Vogel noch weite Strecken fliegen kann; die meisten Vögel sterben an Ort und Stelle. Auffällig ist ferner, dass in Ländern mit strikten Einfuhrkontrollen keine Geflügelpest auftritt obschon 100.000de von Zugvögeln auch aus Seuchengebieten dorthin ziehen, z.B. Japan, Südkorea, Malaysia oder Australien. In Südkorea allein überwintern über eine Million Wasservögel aus China und Sibirien.
Der Verlauf der Seuchenausbreitung in den letzten Monaten lässt sich hingegen gut mit den beiden mutmaßlichen Hauptübertragungswegen erklären: Zum einen mit dem Handel mit Geflügel und Wildvögeln. Hierbei ist auch an Personen zu denken, die das Virus (z.B. an Kleidung oder Ausrüstung) von einer Tierhaltung zur nächsten transportieren. Noch immer findet illegaler Handel mit Hühnern aus China statt (Aufgriffe in Italien im Oktober 2005 und in Großbritannien, Ausbruch in Nigeria). Auch mit gehandelten Wildvögeln gelangte das Virus nach Europa. Zum anderen aber ist es der Handel mit Geflügelprodukten. Hierzu zählt insbesondere Geflügelkot zur Düngung in der Fischereiwirtschaft, aber auch in der Landwirtschaft. Zur Düngung werden auch Abfälle aus Schlachthäusern verwandt. Schlimmer noch: Nach aktuellen Informationen (siehe Quelle3) werden Schlachthausabfälle und sonstige organische Abfälle der Massengeflügelhaltung (einschließlich Kadaver) zu Futtermitteln verarbeitet – wiederum auch für Geflügel. Offenbar entsorgt sich die Geflügelindustrie ihrer Abfälle durch den Verkauf derselben. Parallelen zum BSE-Skandal sind auffällig. Das Virus ist wochenlang im Kot und anderem organischen Material überlebensfähig (Aussage FAO, zit. nach Quelle3a, unter günstigen Bedingungen 30-35 Tage).
Schon seit längerem ist bekannt, dass die riesigen Massentierhaltungen in China ihr Fäkalien-Entsorgungsproblem dadurch gelöst, dass sie den Kot als Dünger verkaufen. Die FAO hat dieses massiv unterstützt und die Verwendung in Fischteichen zur Steigerung der Erträge propagiert. Dieses ist der Verbreitungsweg, auf den in den letzten Monaten vermutlich die Mehrzahl der neuen Pestausbrüche zurückzuführen ist. Dem schon erwähnten Massentod der Streifengänse in Qinghai ist vorausgegangen, dass mit Unterstützung der FAO Fischteiche angelegt worden sind, die intensiv mit Geflügelkot gedüngt wurden. Wie schon erwähnt sind Länder mit strikten Einfuhrkontrollen von der Geflügelpest verschont geblieben. Länder mit schlechten Einfuhrkontrollen sind jedoch von vielen Krankheitsausbrüchen betroffen. Handel mit Geflügelkot findet auch aus Asien heraus und offensichtlich bis nach Europa hinein statt. So findet sich im Internet die (von mir nicht überprüfte) Aussage über intensive Importe von Dünger aus Geflügelprodukten aus China zur Verwendung in Fischteichen in Serbien (Quellen3a+3b). Nebenbei bemerkt gibt es auch in der Türkei industrielle Hühnerhaltung, die ihre Abfälle als Dünger entsorgt.
Ausführliche Informationen zur Verwendung von Vogelkot in Fischteichen siehe unter Quelle3b.
Mit diesem Wissen aus Asien zurückgekommen, fällt mir die in Deutschland erzeugte öffentliche Panik vor Wildvögeln besonders auf. Auch dienstlich werde ich hiermit konfrontiert. Die ersten Anträge zur Beseitigung von Mehlschwalbennestern wurden gestellt, ein Projekt zur Aufnahme verletzter Wildvögel wurde von den Veterinären geschlossen, und Anrufer fragen nach der Gefährlichkeit des Aufenthaltes im Freien. Es vergeht derzeit kein Fernsehabend, in dem nicht so genannte „Vogelgrippe-Experten“ die Ausbreitung der Seuche durch Zugvögel in den Vordergrund stellen, und auch Herr Minister Seehofer weist im Fernsehen düster auf die kommenden Zugvögel hin (in „Christiansen“, 26.2.06).
Es ist erstaunlich, dass selbst das wissenschaftlich in Deutschland „zuständige“ Friedrich-Löffler-Institut Wildvögel für einen möglichen Überträger hält (Pressemitteilung vom 20.1.2006). Es wird aber nirgendwo darüber Auskunft gegeben, welche Vögel denn den Erregern von A nach B transportiert haben können. Weder für Rügen noch für den Bodensee liegen hierzu Aussagen vor.
Da ist zu fragen, was in Deutschland denn für die Krankheitsausbrüche verantwortlich ist. In Hongkong witzelt man über den Zufall, dass der räumlich völlig isolierte Ausbruch auf Rügen nur wenige Kilometer neben den Laboren des Friedlich-Löffler-Institut stattgefunden hat (Quelle3a). Wurde dort mit dem Erreger gearbeitet und haben sich alle mit dem Erreger umgehenden Mitarbeiter ausreichend dekontaminiert, bevor sie das Institutsgelände verlassen haben? Für wesentlich wahrscheinlicher halte ich aber den Weg über Dünger. Hierauf weisen die hauptsächlich betroffenen Wasservögel hin. Ich habe nirgends gelesen oder gehört, dass Kontrollen der ausgebrachten Dünger vorgenommen wurden und dieser Infektionsweg ausgeschlossen werden kann. Hier müsste intensiv gefahndet werden, denn wenn Geschäfte zu machen sind, sind auch Falschdeklarationen nicht auszuschließen (siehe „Gammelfleisch-„ und BSE-Skandal, illegaler Handel mit geschützten Tier- und Pflanzenarten).
Bemerkenswert finde ich ferner, dass Höckerschwäne als sehr häufige Opfer unter den Wildvögeln genannt werden, auch bei den früheren Ausbrüchen in Ost- und Südeuropa. Diese sind sicherlich auffällig und werden daher leichter gefunden als andere Vögel. Wahrscheinlich scheint mir aber auch, dass sie nahrungsökologisch besonders gefährdet sind. In Fischteichen kommen Schwäne aufgrund ihres langen Halses und der leichteren Erreichbarkeit des Sedimentes möglicherweise noch intensiver mit den eingebrachten Erregern in Kontakt als andere Wasservögel. Daneben suchen Höckerschwäne auch auf Feldern Nahrung (Stoppelfelder, Rapsfelder usw.), wo sie ebenfalls dem Erreger (durch Dünger eingebracht) ausgesetzt sein können.
Nebenbei bemerkt sind Hausgeflügelhaltungen ebenfalls Opfer der Geflügelpest und damit der Geflügelindustrie: Direkt (potenziell) durch den Handel mit kontaminiertem Tierfutter, und indirekt durch die behördlichen Maßnahmen gegen die vermeintliche Einschleppung der Seuche durch Wildvögel (Einstallungspflicht).
Ich möchte daher eindringlich bitten, das – zugegebenermaßen sehr bequeme – Märchen von den Wildvögeln als Vektor für die Geflügelpest nicht weiter zu propagieren. Es führt zu panischem Verhalten in der Bevölkerung, und es hindert vor allem daran, die tatsächlichen Verursacher zu suchen und die weitere Ausbreitung der Seuche zu unterbinden. Auch gehen zwangsläufig viele „Schutzmaßnahmen“ ins Leere, statt dessen werden die Falschen betroffen (Naturbesucher, Kleintierhalter).
Hingegen sollte bei jedem neuen Ausbruch der Seuche bei Wildvögeln die Frage im Mittelpunkt stehen, wie das Virus in die Landschaft (und damit die Nahrungskette) eingebracht wurde. Welche Geflügelprodukte sind verwendet worden? Wo stammen diese her? Ist irgendwo Geflügelkot aus Befallsgebieten untergemischt worden? Sind alle Düngerlieferungen richtig deklariert worden? Im Grunde genommen könnte bei jedem neuen Ausbruch in Deutschland sofort eine Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt werden.

Mit freundlichen Grüßen
im Auftrag

Steiof

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
Planen Bauen Wohnen Umwelt Verkehr
Sachgebiet Artenschutz
Bearbeiter: Hr. Steiof
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